Donnerstag, 28. März 2024
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Hochhäuser in der City: die Münchner Linie

Hochhäuser in München

In der City-West gibt es eine Hochhausdiskussion, angefeuert von der AG City und bauinteressierten Architekten. Was es bisher noch nicht gibt: Investoren, die tatsächlich ein Hochhaus bauen wollen! Vorstandsmitglied Gottfried Kupsch von der AG-City hat dazu eine seltsame Argumentation entwickelt: „… der Online-Handel habe die City-West mit voller Wucht getroffen!“ Nachlesbar ist es in einer Online-Ausgabe einer Zeitung mit großen Immobilien-Teil: IM WESTEN BERLINS | 18.5.2018 | „Hochhäuser sollen die Zukunft der City West sichern“. Was Kupsch übersieht: die hohen Mieten für den stationärn Handel haben erst die Voraussetzung für den Erfolg des Online-Handels geschaffen.
Kupsch meint, Hochhäuser würden für mehr Attraktivität der City-West sorgen. Doch Attraktivität liegt im Auge des Nutzers und „Attraktivität“ ist für sich gar kein bestimmendes architektonisches Nutzungsmotiv.

Stadtentwicklungsstadtrat Oliver Schruoffeneger hat schon im April reagiert, und eine Vorlage eingereicht, die das Bezirksamt in seiner Sitzung am 10.04.2018 beschlossen hat. Mit den bezirkseigenen „Verfahrensgrundsätze für den Umgang mit Hochhausprojekten“ greift Charloittenburg-Wilmersdorf einem Berliner Hochhausentwicklungsplan vor, der noch in der Vorbereitung und vielen Details feststeckt.

Verfahren zum Umgang mit Hochhausprojekten

Einheitliche Bewertungskriterien und Verfahrensgrundsätze stellen künftig sicher, dass jetzt anstehende Projekte bearbeitet werden können und nicht bis zur Entscheidung über ein Hochhausleitbild des Landes warten müssen.

Die wesentlichen Teile des Beschlusses lauten:

a) Die Vorhabenträger werden aufgefordert, durch geeignete Gutachten eine gesamtstädtische Betrachtung zu erarbeiten, die den Standort des geplanten Hochhauses im Gesamtgefüge der Stadt unter Berücksichtigung auch der Notwendigkeit der Schaffung bzw. Sicherung preisgünstigen Wohnraums in den Quartieren des Bezirks bewertet und damit begründet. Über die Auswahl der Gutachter ist Einvernehmen mit der Abteilung Stadtplanung des Bezirks herzustellen.

b) Diese Gutachten und die sich daraus ergebenden konkreten Vorschläge für den Standort werden im Baukollegium vorgestellt Dabei sollen auch die vom Vorhaben Vorhabenträger geplanten städtebaulichen Qualitätskriterien vorgestellt werden.
c) Die Genehmigung bedarf in der Regel eines vorhabenbezogenen Bebauungs-planes, der durch den Vorhabenträger zu finanzieren ist.

d) Zur baukulturellen Qualitätssicherung bedarf es eines städtebaulichen und architektonischen Wettbewerbsverfahrens, das durch den Vorhabenträger zu organisieren und finanzieren ist. Über den Ausschreibungstext ist mit der Abteilung Stadtplanung des Bezirks Einvernehmen herzustellen. Der Bezirk ist in der Jury des Wettbewerbs vertreten.

Stadtentwicklungsstadtrat Oliver Schruoffeneger hat damit proaktiv im gesamtstädtischen Interesse gehandelt, und ist auch ein wenig stolz über seinen Coup:

„Ich freue mich, dass wir nun Klarheit und Transparenz geschaffen haben, wie wir in den nächsten zwei Jahren mit Anträgen für Hochhausbebauungen umgehen werden. Besonders wichtig war es mir sicherzustellen, eine Basis zu haben, auf der nicht nur über das geplante Hochhaus selbst, sondern auch über die Auswirkungen auf das Umfeld und die soziale Siedlungsstruktur qualifiziert diskutiert werden kann. Damit rückt auch die Verantwortung potentieller Investoren für das städtische Umfeld insgesamt in das Blickfeld der Betrachtungen.“

Die AG City muss nun mehr tun, als alle paar Wochen einen neuen Architekten und einen neuen Hochhaus-Entwurf zu präsentieren.

Digitalisierung und Strukturwandel in der City-West

Die unter dem Stichwort „Digitalisierung“ verhandelten Modernisierungsprozesse verlaufen stürmisch. Viele Akteure und Händler kommen nicht mit der Entwicklung mit. Während Handelsverband HDE und Händlerarbeitsgemeinschaften noch über eCommmerce, Omnichannel und eigene Online-Marktplätze Seminare und Tagungen veranstalten, schaffen die großen Player im Internet Tatsachen. Eigene digitale Ökosysteme entstehen und die „Subscription-Economies“ werden weiter ausgebaut, bei denen Kunden als Dauer-Abonnenten gebunden werden.

Zalando Campus
Zalando Campus in Friedrichshain – Visialisierung Zalando Press Release

Während die Berliner Einkaufs- und Geschäftsstraßen unter Druck des Online-Handels geraten, baut Zalando einen neuen Büro-Campus in Friedrichshain/Kreuzberg, der die digitale Organisation ganzer Branchen und Geschäftsstraßen in sieben Büroetagen übereinanderstapelt. 5.000 Zalando-MitarbeiterInnen werden hier im Gebäude der Münchner Grund Immobilien Bauträger GmbH auf dem Anschutz-Gelände auf insgesamt 42.000 Quadratmeter Büroflächen arbeiten. Damit wandern künftig hohe dreistellige Umsätze aus der gesamten Stadt zu nur einem Unternehmen. Ein Marktprozess, der auch in Hochhäusern zu leeren Ladenetagen führen wird.
Ob man mit dem Bau neuer Hochhäuser gegensteuern kann, ist mehr als fraglich.

Gefährlicher noch als die Online-Konkurrenz ist aber der Verlust des Glamour-Faktors, wenn Kinos durch Büros ersetzt werden, und Theater durch Ladenzeilen. Fehlt der Glamour, schwindet das Publikum – und am Ende sind Urbanität und Prosperität am Schwinden.

Perspektivwechsel: Die Münchner Linie zum Hochhausbau als Vorbild

In Berlin werden womöglich neue Schlachten der Vergangenheit geschlagen, denn eine Stadt funktioniert als volkswirtschaftlicher Gesamt-Organismus. Hochhäuser entstehen nur, wenn dafür wirtschaftlicher Bedarf entsteht. In der Landeshauptstadt München wurde 1929 das erste Hochhaus gebaut, heute stehen im Stadtgebiet über 1.800 Gebäude mit mehr als 22 Metern Geschoßhöhe. Auch hier gibt es einen Konflikt zwischen „Bewahrung der Münchner Stadtgestalt und Förderung neuer Architektur“. Die „Münchner Linie“ orientiert sich an den zwei Münchner Hochhausstudien:

– Die Altstadt, die alten Dorfkerne sowie gewachsene Stadtteile und schützenswerte Freiräume sollen in ihrem Charakter erhalten und deshalb frei von Hochhäusern bleiben.

– Die Sicht auf die Wahrzeichen der Stadt wie Rathausturm, Alter Peter oder Frauenkirche darf aus den Hauptsichtlinien in die Stadt hinein nicht durch Hochhäuser beeinträchtigt werden.

– Über die Höhe eines Hochhauses wird im Einzelfall entschieden. Die Lage des Standorts, die unmittelbare Umgebung und die Sichtbeziehungen sind entscheidende Kriterien. Die Nah- und Fernwirkung wird geprüft.

– Als geeignete Standorte kommen „Stadttor-Situationen“ wie Stadteinfahrten, Kreuzungsbereiche und Schnittpunkte wichtiger Verkehrsachsen zum Beispiel mit dem Mittleren Ring in Frage, aber auch bereits vorhandene Hochhausstandorte. In städtebaulichen Entwicklungsgebieten können Hochhäuser Akzente setzen sowie Orientierungspunkte und neue Adressen bilden. Hochhäuser sind und bleiben ein besonderer Bautyp in München und kein Regelfall.

Die Planung und Realisierung von Hochhäusern unterliegt wie bei allen Bauvorhaben, die auf Grund neuen Baurechts entstehen, den Grundsätzen der Sozialgerechten Bodennutzung. Danach müssen sich Grundeigentümer an den Folgekosten der Planung beteiligen – das können beispielsweise sein:Kostenbeteiligungen am Straßenausbau und der Grünausstattung, Ausgleichszahlungen für entfallende Flächen des klassischen Gewerbes, die in den Bau von Gewerbehöfen fließen, sowie bei Wohnbaumaßnahmen die Kostenbeteiligungen für Infrastruktureinrichtungen, z.B. zur Errichtung von Kindergärten.“

Städtebaulich haben die Münchner Stadtverordneten damit die Dynamik der Stadt im Griff behalten – und zugleich die traditionelle Münchner Altstadt und die alten Dorfkerne geschützt.

Gefördert wird es durch eine bayrische Ansiedlungspolitik, die erst den Konzernsteuersitz bedenkt und fördert und dann erst das Hochhaus als zweckgerichtetes Mittel plant.

Autor: Dipl.-Ing. Michael Springer

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