Donnerstag, 28. März 2024
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Sexistische Werbung in Charlottenburg-Wilmersdorf verbieten?

Bademoden - sexistisch?

Die nächste Sitzung der Bezirksverordnetenversammlung am 18.05.2017 im Rathaus Charlottenburg hat ein „Sommerthema“: Niklas Schenker, Fraktionsvorsitzender DIE LINKE in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf hat einen Antrag zu Abstimmung gestellt, „Sexistische Werbung auch in Charlottenburg-Wilmersdorf verbieten!“. Nach Ansicht der Linksfraktion besteht Anlaß zum Handeln:

„Sexistische Werbung hat Auswirkungen auf das Bild, was wir von Menschen haben, beeinflusst wie wir sie behandeln und wirkt sich auf die eigene körperliche Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl aus. Sexismus schadet der Gesundheit! Auf allen Flächen im öffentlichen Raum, bezirkseigenen sowie privaten, muss sexistische und diskriminierende Werbung verboten werden! “

Sexismus und Bademoden

Das Thema Sexismus in der Werbung fällt aktuell ins Auge, weil die großen Modekonzern wie Calcedonia, C & A, H & M und Kaufhäuser wieder ihre Bademoden-Kollektionen ins Licht der Öffentlichkeit rücken. Die Calcedonia #GirlGang aus dem aktuelln SummerGuide ist gerade auf den Berliner Haltestellen-Plakaten zu besichtigen.
Das 1986 in Verona gegründete Unternehmen Calzedonia ist inzwischen europaweit zu den Marktführern aufgestiegen.

Das Erfolgsrezept: „Der Erfolg von Calzedonia beruht auf vielfältigen Faktoren: die angebotenen Produkte, die sich durch ein umfangreiches Sortiment, durch besonderes Augenmerk auf den Modefaktor und das unnachahmliche Verhältnis von Qualität und Preis auszeichnen. Aufgrund genau dieser Merkmale können auch die anspruchvollsten Wünsche der Kunden erfüllt werden.“

„Markenzeichen der Gruppe ist auch die Kommunikationsmethode über wichtige Medienkampagnen (Plakat-, TV-, Pressewerbung) und der Einsatz der besten Fotografen samt Topmodels. Genannt seien hier Gisele Bündchen für Calzedonia und Irina Skayk für Intimissimi, über das eigene Markenlabel lanciert. Leidenschaft, Opferbereitschaft, Liebe und Einsatzbereitschaft für ein gemeinsames Projekt: diese Werte begründen den Erfolg und die Ergebniszahlen von Calzedonia.“

Das Unternehmen hat einen 28-seitigen Ethik-Kodex, in dem viel über Textilqualität, aber nichts über das Thema „Sexismus“ steht.

Die aufgeworfene Frage ist für die Branche exístenziell, denn Bademoden werden auf nackter Haut getragen.

Thema das Monats in Charlottenburg-Wilmersdorf

Das Bezirksamt hat auf seiner Internetseite die Frage „Sexistische Werbung verbieten?“ zum Thema des Monats gemacht, und lässt die BVV-Fraktionen zu Wort kommen:

Thema des Monats Mai 2017: Sexistische Werbung verbieten?

Tief ausgeschnittene Dekolletés und spärlich bekleidete Frauen – auf Werbeplakaten keine Seltenheit. „Sex sells“ ist ein altbekannter Grundsatz der Branche. Der anzüglichen Werbung möchte der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg einen Riegel vorschieben und hat sexistische Werbung auf bezirkseigenen Flächen verboten. Soll das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf folgen? Lesen Sie die Stellungnahme der BVV-Fraktionen.

SPD-Fraktion
Die SPD-Fraktion Charlottenburg-Wilmersdorf begrüßt den Vorstoß aus Friedrichshain-Kreuzberg und arbeitet gerne mit anderen Fraktionen gemeinsam an einem entsprechenden Antragsentwurf. Holger Wuttig

CDU-Fraktion
Wer die ernsten Probleme nicht lösen kann, sucht sich stattdessen neue. So setzte 2014 die BVV Friedrichshain-Kreuzberg die Thematik „Sexistische Werbung im Bezirk verbieten“ weit oben auf die Prioritätsliste. Das Ergebnis war ein Verbot von ganzen vier bezirkseigenen Werbeflächen mit der Hoffnung, dass auch der Privatsektor sich daran ein Beispiel nehmen würde – Fehlanzeige. Im Abgeordnetenhaus stellten die Grünen einen ähnlichen Antrag – abgelehnt. Dieser Antrag folgte offenkundig nur der Intention einer Umerziehung und Bevormundung der Bürgerinnen und Bürger, notfalls auch durch Verbote, wie wir es aktuell maßgeblich durch den Berliner Senat erleben. Sicherlich ist das Bewerben von Produkten mithilfe sexistischer Inhalte nicht mehr zeitgemäß. Das Problem liegt in der Botschaft der Bilder, auf welchen Frauen und Männer im alltäglichen Leben klischeehaften Vergleichen unterworfen werden. Doch hier hat weder der Staat, noch die Politik das Recht, in den freien Werbemarkt einzugreifen. Stattdessen muss ein Umdenkprozess bei den Werbeagenturen
und Unternehmen stattfinden, der auf gesellschaftlicher Ebene initiiert wird. An dieser Stelle werden uns also Verbote zweifellos nicht weiterhelfen! Simon Hertel

Bündnis ‘90/Grüne-Fraktion
Was ist sexistische Werbung? Wenn die Dame in Unterwäsche nicht für den BH, sondern für den Stuhl im Bild wirbt. Werden Frauen schwach dargestellt, als Dekoration und sexuell verfügbar, wird es Mädchen und Frauen schwergemacht, ein starkes Selbstbewusstsein aufzubauen. Denn Werbung festigt Geschlechterrollenstereotype. Seit 2014 wird von der Bundesregierung gefordert, geschlechterdiskriminierende Werbung gesetzlich zu regulieren. Viel ist seitdem nicht passiert, außer dass mehr Menschen über Sexismus in der Werbung diskutieren.
Der Bezirk Friedrichshain geht mit positivem Beispiel voran, wenn er sich für ein zeitgemäß vermitteltes Frauenbild in der Werbung einsetzt. Dr. Zitha Poethe-Elevi

FDP-Fraktion
Im Straßenbild gibt es vieles, das uns aufregen sollte: Vermüllte Parks und Plätze, Auto- und Radfahrer, die sich an keinerlei Regeln halten oder die steigende Kriminalitätsrate. Für all dies brauchen wir ein engagierteres staatliches Vorgehen – aber nicht beim Kampf gegen vermeintlich sexistische Werbung. Werbung muss nicht jedem gefallen. Sollte sie aber deshalb verboten werden? Natürlich nicht. Wir können schlechte oder provozierende – und ja, sogar sexistische – Werbung aushalten. Für alles, das darüber hinaus geht, Menschen herabwürdigt oder schwer beleidigt, gibt es bereits ausreichende Rechtsmittel. Es ist nicht die Aufgabe der Politik die Bürgerinnen und Bürger zu erziehen basierend auf dem, was ein paar Personen für tugendhaft halten. Wir müssen keine Plakatpolizei durch die Straßen schicken und auch nicht den Nannystaat einfordern. Früher haben Linke gegen eine spießige
Sexualmoral gekämpft, heute geht es gegen Plakatwände. Freie Demokraten hingegen wollen Verbote verbieten und setzen auf mündige Bürgerinnen und Bürger. Werbung ist frei und durch die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit geschützt. Beschädigen wir unsere Freiheit nicht durch Symbolhandeln ohne nachhaltige Wirkung. Pascal Tschörtner

AfD-Fraktion
Geht es wirklich darum, Frauen vor Diskriminierung durch bestimmte Werbung im öffentlichen Raum zu schützen? Ist das Ganze nicht bloß ein wohlfeiles Entrüstungsritual, um darüber hinwegzutäuschen, dass man die wirklich wichtigen Themen nicht angeht? Wo sind denn die aufgebrachten Stimmen gegen die Unterdrückung der Frau im Islam – hier mitten in unserem Land? Wie schützt man Frauen vor immer häufiger werdenden sexuellen Übergriffen – gerade auch durch Zuwanderer? Genügt es, ihnen zu raten, immer eine Armlänge Abstand zu halten? Geht es den rot-grünen Belehrungs- und Verbotsexperten nicht vielmehr um Zensur? Stürzt man sich heute auf „frauenfeindliche“ Werbung, um dann morgen Literatur, Film und Kunst „zu reinigen“? Und wer definiert überhaupt, was „sexistisch“ ist und was nicht? Sollen Freiheit und Freizügigkeit (auch wenn diese manchmal an die Schmerzgrenze geht), aus dem öffentlichen Raum vertrieben werden? Sollen unsere Lebensart und Kultur im Käfig der Politischen Korrektheit verkümmern oder gar passend gemacht werden für eine religiöse Gesinnungsdiktatur, die nicht zu Deutschland gehört? Michael Seyfert.

Linksfraktion
Wir alle kennen das: Nackte Frau, großer Busen, kaltes Bier. Harmlos? Nein, Sexismus! Ein Gewaltverhältnis, das in unsere sozialen Geschlechtsidentitäten eingeschrieben ist – direkt, wenn das „Nein“ von Frauen* übergangen wird, aber auch subtil, wenn die Arbeit von Frauen* schlechter oder gar nicht bezahlt wird und sie in Armut und Abhängigkeit leben müssen. Sexismus drückt sich in Darstellungen davon aus, wie Frauen* sind oder angeblich zu sein haben. Schon früh lernen Frauen* durch sexistische Werbungen, dass sie nicht dünn, weiß oder sexy genug aussehen. Geschlechterdiskriminierende Werbung hat nicht nur Auswirkungen auf das Bild, was wir von anderen haben. Es beeinflusst auch, wie wir andere behandeln und wirkt sich auf die eigene körperliche Selbstwahrnehmung und das Selbstwertgefühl aus. Sexismus schadet der Gesundheit! Auf allen bezirkseigenen Flächen muss die Präsentation sexistischer Inhalte unterbunden werden. Nur dort? Das Verbot muss bundesweit, besser international gelten. Auf allen (!) Flächen im öffentlichen Raum müssen sexistische, rassistische oder anders diskriminierende Werbungen verboten werden – egal, wem die Fläche gehört. Menschenwürde steht vor Eigentum. Wir streiten weiter: Feministisch-sozialistisch! Niklas Schenker.

Strandmoden - nicht sexistisch?
Strandmoden – nicht sexistisch? Sollen Strandmoden dezent und unaufgeregt präsentiert werden? – Foto: pixabay

Spannende Debatte mit offenen Ausgang

Die Debatte wird mit Spannung erwartet. Es ist unweigerlich auch ein Signal aus Berlin an Europa! Die Gruppe Calzedonia beschäftigt etwa 26.000 Mitarbeiter weltweit, davon etwa 3300 in Italien. 1750 Geschäfte in Italien, Österreich, Belgien, Zypern, Kroatien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Griechenland, Mazedonien, Mexiko, Montenegro, Polen, Portugal, Katar, Tschechien, Rumänien, Russland, Serbien, Slovakien, Slowenien, Spanien, Schweden, Schweiz, Türkei, Ungarn mit mehreren Mitarbeiter*innen leben zusätzlich vom Einmarken-Textilgeschäft.
Ein Werbeverbot würde in Charlottenburg-Wilmersdorf auch zu einem veränderten Handelsklima am Kurfürstendamm, Tauentzien und in der Wilmersdorfer Straße führen, die als Haupteinkaufsstraßen auch auf einen „glamourösen Angebots-Mix“ bauen.

Die tiefergehende Debatte müsste sich eigentlich um Kultur drehen, um das Verhältnis von Ideologie, Medien und Lebenslust. Aber eine derartige Debatte ist vermutlich nicht mit Kategorien der Politik in Übereinstimmung zu bringen.