Freitag, 29. März 2024
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Berlin sucht Auswege aus dem Fachkräftemangel

Studienaussteigermesse 2018

Erfolgsmeldungen aus der Berliner Wirtschaft Ende März markieren einen starken Boom. Dr. Marion Haß, Geschäftsführerin Wirtschaft & Politik der IHK Berlin, sagte dazu am 29.3.2018: „Die wachstumsstarke Berliner Wirtschaft stellt weiterhin ein und braucht immer mehr Fachkräfte. Wir zählen knapp 60.000 neue Jobs binnen Jahresfrist. Jedoch wird aktuell nur jeder fünfte neue Arbeitsplatz mit einem ehemaligen Arbeitslosen besetzt. Die Hauptstadt profitiert vor allem vom Zuzug „on the job“. Um Wachstumschancen zu nutzen und alle Berliner daran teilhaben zu lassen, gilt es nun, alle Potenziale am heimischen Arbeitsmarkt zu aktivieren.“

120.000 Fachkräfte fehlen

Gleichzeitig wachsen auch die Warnzeichen, ein gravierender Fachkräftemangel baut sich auf. Der IHK-Fachkräftemonitor 2018 zeigt ine große Gefahr für Unternehmen: qualifizierten Mitarbeitern fehlen. Insgesamt fehlen schon jetzt in Berlin mehr als 120.000 Fachkräfte. Der Mangel könnte bis zum Jahr 2030 sogar bis auf bis zu 235.000 wegen des Fachkräftemangels unbesetzte Stellen wachsen.

Vor allem beruflich qualifizierte Fachkräfte fehlen

Schon jetzt ist der Fachkräfte-Engpass bei beruflich Qualifizierten im Vergleich zu Akademikern erheblich höher: 99.000 fehlenden beruflich Qualifizierten stehen 22.000 fehlende Akademiker gegenüber. Von konjunkturellen Schwankungen abgesehen wird sich diese Entwicklung bis zum Jahr 2030 in noch größerem Ausmaß fortsetzen: Während der Engpass bei Akademikern bei knapp 50.000 liegt, werden laut Fachkräftemonitor bei den beruflich Qualifizierten fast 200.000 Stellen nicht besetzt werden können.
„Der Blick auf diese Zahlen zeigt, dass es höchste Zeit ist, gegenzusteuern“, so Beatrice Kramm, Präsidentin der IHK Berlin. „Es ist absolut kontraproduktiv, Jugendlichen zu suggerieren, ein Studium sei grundsätzlich höherwertiger als eine duale Ausbildung.“
Der höchste Fachkräftebedarf besteht derzeit im Dienstleistungssektor. So können rund 23.000 Stellen im Bereich Büro- und Sekretariatsberufe nicht besetzt werden. Im Bereich Personalwesen und Unternehmensorganisation fehlen 17.200 Fachkräfte, in den Feldern Erzieher, soziale und hauswirtschaftliche Berufe sind es 9.600 unbesetzte Stellen, gefolgt von 7.500 offenen Stellen in Recht und Verwaltung und 4.000 unbesetzte Stellen im Bereich medizinische Gesundheitsberufe. Gerade in den sozialen Berufen wird sich die Lage bis zum Jahr 2030 weiter verschärfen: Die IHK geht davon aus, dass 2030 28.800 Mitarbeiter in diesem Bereich fehlen.

Fachkräftemängel in Forschung und Entwicklung

Beunruhigend ist aus Sicht der IHK auch der zunehmende Fachkräftemängel auf dem Feld von Forschung und Entwicklung. So fehlen aktuell 5.900 Fachkräfte in technischen Forschungs-, Entwicklungs-, Konstruktions- und Produktionssteuerungsberufen. Bis zum Jahr 2030 wird diese Zahl ohne entsprechende Gegenmaßnahmen auf 10.900 steigen und sich damit fast verdoppeln.

„Forschung und Entwicklung bedeuten Zukunftssicherung für Unternehmen“, so Beatrice Kramm. „Jede besetzte Stelle zahlt hier ein auf die wirtschaftliche Entwicklung.“

An der grundsätzlichen Verschärfung des Fachkräftemangels wird auch die zunehmende Digitalisierung vieler Arbeitsbereiche nichts ändern. Nach IHK-Studien wird die Digitalisierung den Mangel lediglich reduzieren. Ohne Digitalisierungs-Effekte würden etwa im Jahr 2030 337.000 Beschäftigte fehlen, mit der Digitalisierung werden es voraussichtlich 251.000 sein. Allerdings reduziert die Digitalisierung vor allem die Nachfrage nach niedrig-qualifizierter Beschäftigung.

Berliner Wirtschaft mit drei zentralen Forderungen

„Aus dem Fachkräftemonitor 2018 ergeben sich aus Sicht der Berliner Wirtschaft drei zentrale Forderungen“, so IHK-Präsidentin Beatrice Kramm, “Die Politik muss exzellente Bildung ermöglichen. Eine digitale Infrastruktur muss an allen Berliner Schulen verankert sein. Außerdem: Die duale Ausbildung muss gestärkt werden. Dazu brauchen wir eine intensivere und effizientere Berufsorientierung. Und zu guter Letzt: Die Arbeitsmarktpolitik muss sich noch stärker auf die Aktivierung Langzeitarbeitsloser für den ersten Arbeitsmarkt konzentrieren. Denn wenn zwei Drittel der Unternehmen sagen, dass sie im Fachkräftemangel ein Risiko für ihre Geschäftsentwicklung sehen, hat das auch Folgen für die wirtschaftliche der Stadt.“

Studienaussteigermesse 2018
Studienaussteigermesse 2018 im Ludwig-Erhard-Haus – Foto: IHK-Berlin

Ausweg: Personaler schauen verstäkt nach Studienaussteigern

Fast 30 Prozent der Bachelor-Studenten brechen ihr Studium vorzeitig ab. Früher war dies eine eher ungeliebte Zielgruppe – doch heute werben Unternehmen zunehmend um die Studienaussteiger, um diese für eine duale Ausbildung zu gewinnen.

Aktuell hat die Studienaussteigermesse der IHK Unternehmen und Studienaussteiger im Ludwig Erhard Haus zusammen gebracht. Mehr als 530 Ausbildungsplätze können bei rund 60 Unternehmen besetzt werden, die als Aussteller an der Studienaussteigermesse teilnahmen. Dazu kommen mehr als 50 duale Studienplätze. Die Berufswege sind attraktiv: Bankkaufleute werdengesucht, ebenso wie Kaufleute für Büromanagement, Elektroniker für Energie – und Gebäudetechnik, Anlagemechaniker oder Fachinformatiker und IT-Systemkaufleute.

„Wir beobachten, dass die Zahl der Unternehmen, die sich gezielt um Studienaussteiger bemühen, in den vergangenen Jahren zugenommen hat“, so Thilo Pahl, Geschäftsführer Bildung & Beruf bei der IHK Berlin. Waren es 2010 noch 19 Prozent der Unternehmen, ist ihre Zahl auf mittlerweile 56 Prozent gestiegen.

Auch umgekehrt ist das Interesse groß: Rund ein Drittel der Studienaussteiger beginnt im Anschluss eine duale Ausbildung. In einer Reihe von Berufszweigen profitieren sie dabei vom Programm „your turn“ der IHK Berlin, das 2012 seit unter bestimmten Voraussetzungen eine verkürzte Ausbildung ermöglicht.

Berufliche Orientierung mit guten Startchancen im Beruf

„Viele Studenten brechen ihr Studium ab, weil sie lieber etwas Praktisches machen möchten oder weil sie grundsätzlich am Sinn des Studiums zweifeln “, so Thilo Pahl. „Das zeigt uns, dass die berufliche Orientierung gerade an Gymnasien noch ausgebaut werden muss. Unter Umständen hätte man diesen jungen Menschen dann die Extrarunde über die Hochschule ersparen können.“
Grundsätzlich sind die beruflichen Aussichten für ehemalige Studenten in Ausbildungsberufen sehr gut. Angesichts des sich verschärfenden Fachkräftemangels bilden vor allem kleine und mittlere Unternehmen für den eigenen Bedarf aus. Das heißt, die Wahrscheinlichkeit, nach der Ausbildung übernommen zu werden, ist sehr groß.

„Auch die finanziellen Perspektiven sind gut – und je nach Ausbildungsberuf sogar besser als ein akademischer Beruf “, sagte Thilo Pahl. „Ein Archäologe in der Forschung verdient zum Beispiel 2.200 Euro im Monat, ein dual ausgebildeter Industriemechaniker kommt dagegen auf 2500 Euro. Mit der Weiterbildung zum Industriemeister sogar bis zu 3000 Euro.“